DISKUSSION Familientherapeutin spricht auf Einladung des Kinderschutzbunds im Historischen Rathaus von Schotten
„Fördern, fordern, überfordern“ war das Thema eines Vortrags- und Diskussionsabends in Historischen Rathaus, zu dem der Kinderschutzbund Schotten eingeladen hatte. Referentin war die Sozialpädagogin und Familientherapeutin Monika Klenk-Bickel aus Fulda. Erfreulicherweise waren nicht nur Mütter zu diesem Abend gekommen, sondern auch etliche junge Väter.
„Wieviel Erziehung braucht ein Kind?“ hatte die Referentin als Untertitel gewählt und gab eingangs ein Schlaglicht auf die wachsende Flut der Erziehungsratgeber, von denen manche mehr verwirren als zur Klärung beitragen. Um kindgerechte Balance zu finden, lud sie zunächst zur Auseinandersetzung mit dem Begriff „überfordern“ ein und knüpfte an Erkenntnisse aus der Neurophysiologie an.
„Zuviel an Reizen“
So werde Überforderung zunächst allgemein als ein Zuviel an Reizen beschrieben, auf der Ebene des Körpers, insbesondere der Sinnesorgane wie auch der des Verstandes erlebt. Klenk-Bickels Konzept bezog stammesgeschichtlich alte Reaktionsmuster ein. So sprach sie das sogenannte Reptiliengehirn im Hirnstamm mit seinen lebenswichtigen Zentren für Atmung und Herzschlag an. In der Frühgeschichte des Menschen war es sinnvoll, dass in Situationen von Stress, Bedrohung und Angst von diesem Hirnbereich aus der Körper mit beschleunigter Atmung und Herzfrequenz auf höchste Leistungsbereitschaft gefahren wurde und zugleich Verhaltensimpulse in Richtung „Kampf oder Flucht“ gegeben wurden.
Diese Muster seien im wesentlichen geblieben, nur dass sie in einer dichtbevölkerten hochindustrialisierten Umwelt nicht mehr so sinnvoll seien wie in der Frühzeit des Homo sapiens. Vor allem leuchte es ein, dass solche körperlich-geistigen Reaktionsmuster als Dauerzustand weder dem Lernen noch der Ausgeglichenheit förderlich seien. Ein weiterer auf Stress reagierender Gehirnabschnitt sei die Amygdala, unter anderem als Teil des limbischen Systems das menschliche „Emotionsgedächtnis“.
Gefühle von Angst, Wut, Bedrohung würden dort gespeichert, in Vernetzung mit dem vegetativen Nervensystem aber auch die Ausschüttung von Stresshormonen, etwa Cortison aus der Nebennierenrinde, gesteuert.
Alles nur graue Theorie? Wie stark auf solchen Impulsebenen reagiert wird, machte die Referentin den Zuhörern mit einigen Bildern deutlich. Ein lachender junger Vater mit einem Kind huckepack – kaum jemand, der nicht lächelte oder Entspannung empfand. Ein jämmerlich schreiendes Baby: Bei einigen Frauen gingen automatisch die Hände nach vorn, sie empfanden einen Impuls zum Hochnehmen und Beruhigen. Offensichtlich genügen schon kleine Schlüsselreize zum Auslösen solcher Reaktionen. Klenk-Bickels Folgerung: „Das gilt auch für den Umgang mit Kindern, die ganz sensibel auf Mimik und Gestik ihrer Bezugspersonen reagieren“.
Damit wurde deutlich, was gute Bedingungen für Kinder, für ihre Entwicklung, ihr Lernen sind: ein Klima der Offenheit und Entspanntheit in der Familie. Das schließe auch Sensibilität der Eltern für ihre eigene Befindlichkeit ein. Gestresst vom Beruf nach Hause zu kommen und die Kinder „motivierend“ zu Schularbeiten zu bringen, könne kaum gelingen. Sie empfänden den Widerspruch zwischen Unruhe und aufgesetzter Freundlichkeit als verwirrend.
So lud Klenk-Bickel ein, sich selbst auf einer gedachten Skala von eins (Ruhe, Entspanntheit) bis zehn (völliger Stress) einzuschätzen, wobei sich niemand aus der Zuhörerrunde niedriger als vier einschätzte. Die Referentin plädierte für einen Lebensstil, der neben Aktivität auch Abschnitte der Ruhe und Entspannung einplant und vor Reizüberflutung schützt. So sei freie Zeit zum selbstbestimmten Spiel für Kinder weitaus förderlicher als das modische Überangebot an „planmäßiger Förderung“.
Viele praktische Dinge wurden angesprochen, etwa den Tagesplan so zu gestalten, dass nach der Schulzeit und dem Essen Phasen der Entspannung bleiben, ehe Schularbeiten gemacht werden.
Klenk-Bickel stellte abschließend einige Thesen unter dem Stichwort „Gesunde Grenzen“ vor: Mit den eigenen Bedürfnissen in Kontakt stehen; sich selbst zum „Ausstieg aus dem Stress“ trainieren; achtsam auch für die Bedürfnisse der Kinder sein; nicht zwischen überzogener Strenge und grenzenloser Nachgiebigkeit zu schwanken; glaubwürdig zu sein. Die Referentin schloss: „Je stabiler unsere Grenzen sind, desto weniger fühlen wir uns bedroht, desto sicherer ist die Entwicklungsbasis unserer Kinder.“
Quelle Text & Bild: Maresch, Kreisanzeiger 2.4.2014