„Wir wollen helfen, nicht sanktionieren“

Ihre Währung ist Vertrauen. Marianne Zimmer vertritt die Interessen derer, die in unserer Gesellschaft in der Regel keine Stimme haben, der Kinder. Seit 2002 ist die gelernte Bürokauffrau, selbst Mutter von drei Kindern, Vorsitzende des Ortsverbandes Schotten im Deutschen Kinderschutzbund, länger noch engagiert sie sich in dem Verein. Marianne Zimmer ist Ansprechpartnerin für Lehrer und Eltern, in erster Linie aber für die Kinder selbst – bei kleinen Alltagssorgen genauso wie bei großen Problemen, wenn beispielsweise ein Kind zu Hause Gewalt erfährt. Dann hilft sie, dass ein Kind aus seiner Familie herausgeholt wird oder dass ein Teenager einen Therapieplatz findet. Anlässlich des heutigen Weltkindertages sprach der Kreis-Anzeiger mit Marianne Zimmer über die Lobbyarbeit für Kinder.

kinderschutzbund-interviewMarianne Zimmer, auch in der Grundschule beliebte Ansprechpartnerin.

Frau Zimmer, wie geht es den Kindern in Schotten?

Der Weltkindertag hat mit seinem Motto in diesem Jahr vor allem Flüchtlingskinder im Fokus. Da ich auch in der Flüchtlingshilfe arbeite, habe Einblick in diese Familien. Da gibt es schon viel zu regeln und zu organisieren, was den Alltag in Deutschland betrifft. Aber ich kann sagen: Den Kindern in den Flüchtlingsfamilien geht es gut. In meiner Arbeit für den Kinderschutzbund erlebe ich allerdings immer wieder, dass viele Kinder große Päckchen mit sich herumtragen. Denen stehe ich, so gut es geht, bei.

Welche Sorgen sind das, die Kinder umtreiben?

Häufig wenden sich Kinder aus sogenannten Patchworkfamilien an mich. Sie kommen mit dem neuen Partner der Mutter oder der neuen Partnerin des Vaters nicht zurecht, in den Familien gibt es Reibereien und Streit. Hier versuchen wir, in Gesprächen zu vermitteln. Ich kann mich auch an ein Mädchen erinnern, das litt regelrecht unter seinen strengen Eltern. Voraussetzung für mein Eingreifen ist allerdings, dass die Kinder damit einverstanden sind. Viele erzählen mir von ihrem Problem, wollen aber auf gar keinen Fall, dass man darüber redet. Sie sind einfach froh, dass sie es loswerden konnten. Daran halte ich mich auch, denn Vertrauen ist die Grundlage meiner Arbeit. Auch, wenn es manchmal nur schwer auszuhalten ist.

Kommt es vor, dass Sie eingreifen, weil das Kindeswohl gefährdet ist?

Grundsätzlich gilt: Wir sind nicht das Jugendamt. Wir wollen helfen, nicht sanktionieren. Ich verstehe mein Wirken eher präventiv. Wenn wir Hinweise erhalten, beispielsweise von Nachbarn, suchen wir zunächst den Kontakt. Wir gehen hin, reden mit der Familie und verschaffen uns einen Eindruck. Natürlich schalten wir das Jugendamt ein, wenn es erforderlich scheint. Und wir schützen selbstverständlich auch jene Menschen, die uns den Hinweis gegeben haben.

Wie finden die Kinder denn zu Ihnen?

Jeden Donnerstag bin ich in der Schottener Gesamtschule. Ich habe dort ein kleines Büro und immer eine offene Tür für die Schüler. Sie können sich in den großen Pausen an mich wenden, wir können vertrauensvolle Gespräche führen, manchmal tauschen wir uns in Gruppen aus. Die Kinder finden hier einen geschützten Raum für ihre Fragen, ihre Sorgen, ihre Interessen. Nach den Herbstferien werde ich mich wieder den Jungen und Mädchen der fünften Klassen vorstellen. Ich weise die Kinder auch darauf hin, dass ich der Schweigepflicht unterliege. Das Angebot bewährt sich schon seit 2002.

Ein sehr exklusives Angebot.

Ja, denn ich bin ausschließlich für die Kinder da. Sie haben hier einen direkten Zugang zur Hilfe, auch finanziell, wenn beispielsweise das Geld der Familie für eine Klassenfahrt nicht reicht. Auch die Lehrer finden dieses Angebot gut. Der Kinderschutzbund ist damit Teil eines Netzwerkes aus der Lehrerin für Erziehungshilfe, dem Schulsozialarbeiter, Streitschlichtern und der schulbezogenen Jugendarbeit des evangelischen Dekanates.

Was ist mit den Kindern, die noch zu klein sind, um sich selbst zu artikulieren?

Neu ist das Begrüßungspaket „Familienservice frühe Hilfen“, das der Kinderschutzbund zusammen mit der Stadt Schotten in diesem Jahr aufgelegt hat. Wir besuchen junge Familien mit einem Neugeborenen und stellen ihnen vor, welche Angebote und Hilfen es für sie in der Region gibt. Eine 72-seitige Broschüre „Hallo im Leben – Ein Wegweiser für Eltern mit Kindern von Null bis drei Jahren“ listet alles auf. Diese Besuche sind natürlich freiwillig, die Familien werden angeschrieben und gefragt, ob sie das möchten. Auf keinen Fall sind diese Besuche eine Kontrolle, sondern ein Hilfs- und ein Gesprächsangebot.

Sie leben in Schotten. Beeinflussen die Kenntnisse, die Sie aus Ihrer Arbeit für den Kinderschutzbund haben, Ihren Alltag?

Wenn man vor Ort wohnt, kennt man natürlich viele Familien. Das erleichtert auch vieles, man hat einen kurzen Draht und man kann Gespräche unmittelbar und direkt führen. Man sieht sich beispielsweise beim Einkaufen und gewinnt einen Eindruck. Ich glaube schon, dass ich einen ganz guten Überblick habe. Und ich freue mich immer, wenn ich sehe, dass es den Kindern gut geht.

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Quelle: Kreisanzeiger vom 20.9.2016, Foto: Weil